Zwar sind die Blätter an den Bäumen noch eingerollt und auch Blüten sind noch nicht da, aber der Frühling hat sich mit den ersten warmen Tagen angekündigt! Und damit beginnt auch die Saison der literarischen Stadtrundgänge wieder. Dieses Jahr soll der Frühling nicht mit einem thematischen Gedicht dazu begrüsst werden, sondern mit einer besonderen Ode an Zürich.
Joachim Ringelnatz, Schriftsteller, Kabarettist und Maler (1883-1934) hat das nachfolgende Gedicht 1927 veröffentlicht. Der einzigartige Humor und das wundervolle Sprachgefühl, angereichert mit einer deftigen Portion Ironie macht das Lesen seiner Gedichte zu einem wahren Erlebnis. Übrigens lohnt es sich einmal vertiefter in seiner Biografie zu graben und seine Werke zu lesen!
So wünsche ich allen einen guten Start und die wärmere Jahreszeit und wer weiss - vielleicht sehen wir uns bald!
Herzliche Grüsse
Rainer Bürgi
Zürich
(An Hügin)
Frage ich mich: Führ ich
Gern ein zweites Mal dorthin
Nach (Hamburgli-) Zürich?? —
Merk ich doch, daß ich im Zweifel bin.
Ungeachtet dessen — immerhin!
Wer, wie ich, die ganze Stadt
Und die weitere Umgebung
Zwecks privater Schiller-Neubelebung
Oberhalb und unterhalb durchbummelt hat,
Der kommt aus der hohlen Gasse
Tagelang oft gar nicht mehr heraus.
Doch ist dort auch eine ganze Masse
Ernster Künstler und auch sonst zu Haus
Und vertragen sich wie Katz und Pack und Maus.
Ihnen, mir, auch anderen wahrscheinlich,
Ist die Stadt zu übertrieben reinlich.
Nirgends Pferdefrüchte auf dem Pflaster.
Nirgends Sünde, nirgends Laster.
Und die Polizei berührt uns peinlich.
In den Kneipen sah ich beim Walliser
Anfangs lauter breitgenährte Spießer,
Immer sechs um einen Patriarchen,
Und ihr Sprechen klang mir erst wie Schnarchen.
Aber bald entdeckte ich, Gott sei Dank,
Daß sie doch trotz ihrer Meistermienen,
Wachgehalten vom politschen Dreiklang,
Freier, schöner waren, als sie schienen.
Ja, sie schwimmen wirtschaftlich im Glücke,
Hamstern zentnerschwere Frankenstücke,
Zahlen winzi-niedli-kleine Rappen.
Hmm!
Das Glück geht ihnen durch die Lappen,
Und ihr Unglück hält sich fern.
Immerhin: Ich würde doch sehr gern
Wieder einmal frische Luft dort schnappen.
O daß sie ewig nicht so friedlich bliebe,
Die kriegverschonte, teure Schweiz!
Ich grüße Zürich einerseits und andrerseits
Und viele Freunde dort, die ich sehr lieb habe.